C. Schmidt-Nowara: The Conquest of History

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Title
The Conquest of History. Spanish Colonialism and National Histories in the Nineteenth Century


Author(s)
Schmidt-Nowara, Christopher
Published
Extent
296 S.
Price
$ 25.95
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Christian Haußer, Instituto de Estudios Humanísticos Abate C. Molina, Universidad de Talca (Chile)

Geschichtsbilder und koloniale Herrschaft stehen im Falle Hispano-Amerikas in einem engen Zusammenhang und die Forschung hat diese Verbindung in Form zahlreicher, vor allem historiografiegeschichtlicher Arbeiten zunehmend erschlossen. Die im 19. Jahrhundert neu entstehenden spanisch-amerikanischen Republiken wurden dabei als gewissermaßen natürliche und notwendige Resultate eines gewachsenen Nationalbewusstseins gedeutet. Dies hatte zur Folge, dass lange Zeit die Fokussierung auf einzelne, in die Kolonialzeit zurückprojizierte nationale Identitätsbildungen vorherrschte, die die jeweilige Staatenbildung geistig vorbereitet und begleitet hätten. Erst in jüngster Zeit erfuhren diese in patriotischem Dienste stehenden Geschichtswerke eine Umdeutung als Teil eines wechselseitigen Prozesses zwischen Mutterland und Überseegebieten und damit als Teil einer transatlantisch-imperialen Diskursdynamik. Einem solchen großräumigen Ansatz weiß sich auch die Arbeit Schmidt-Nowaras verpflichtet, in deren Mittelpunkt historische Repräsentationen spanischer Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert stehen.

Ausgangspunkt des Buches ist der Zerfall des spanischen Kolonialreiches vor allem in zwei großen Etappen. Die Erste, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, führte, in der Folge der napoleonischen Invasion der Iberischen Halbinsel, zum Verlust der Besitzungen auf dem amerikanischen Festland. Die Zweite, am Ende des Jahrhunderts, hatte aufgrund der Niederlage im Spanisch-US-Amerikanischen Krieg von 1898 die Abtretung von Kuba und Puerto Rico in der Karibik sowie Guams und der Philippinen als letzten pazifischen Außenposten zur Konsequenz. Diese Niederlage rief in Spanien einen trotzigen Willen zur nationalen Selbstbehauptung hervor. Auf den kolonialen Verlust, ausgerechnet im Zeitalter des Hochimperialismus, antworteten Spanier mit dem Verweis auf die hispanische Prägung großer Teile der beiden Amerikas und bereiteten damit dem hispanismo des 20. Jahrhunderts den Weg. Die Anrufung hispano-amerikanischer Verbundenheit durch in Büchern, Symbolen oder Ausstellungen vermittelte Geschichtsbilder war jedoch keineswegs allein eine Folge von 1898. Vielmehr waren, so die These Schmidt-Nowaras, Deutungen der imperialen Vergangenheit bereits nach dem Verlust der amerikanischen Festlandskolonien zu Beginn des Jahrhunderts fester Bestandteil der Selbstverständigung Spaniens als Nation im 19. Jahrhundert. Nach einer knappen Einleitung bildet die Darstellung dieses spannungsvollen Verhältnisses von Reich und Nation den Auftakt des Buches.

Kuba, Puerto Rico und die Philippinen waren als Provincias de Ultramar Spanien nachgeordnete Gebiete mit einer Sondergesetzgebung. Zugleich lieferten diese Überbleibsel überseeischer Herrschaft aber den äußeren Anlass für die Produktion jener Geschichtsbilder des 19. Jahrhunderts, die die vergangene imperiale Größe Spaniens hervorhoben und für die Begründung nationaler Identität nutzbar machten. Angesichts des Erstarkens der kubanischen und puerto-ricanischen Unabhängigkeitsbewegungen im letzten Jahrhundertdrittel lieferte die Kritik an einer vermeintlich nur am materiellen Erfolg interessierten und für die Vernichtung indigener Völker verantwortlichen, britischen Kolonialpraxis die Folie, vor der die spanische imperiale Praxis als zivilisatorische Mission im Dienste der Menschheit interpretiert werden konnte.

Sinnbildliche Verkörperung solcher Vorstellungen von der nationalen Vergangenheit als imperialer Zivilisationsleistung wurde Christoph Kolumbus. In der Aneignung seiner Person wird aber auch deren Verfügbarkeit deutlich. Kolumbus sollte die Macht und Größe Spaniens, die eine „Neue Welt“ erschlossen und sie mit Europa verbunden hatte, symbolisieren. Im Vorfeld des 400jährigen Jubiläums der „Entdeckung Amerikas“ im Jahre 1892 schlug sich dies in der Gründung von Kolumbus-Gesellschaften, der Benennung von Straßen und Gebäuden nach dem Entdecker, seinem Auftritt als zentraler Figur in der Historienmalerei und in zahlreichen Denkmälern nieder. Dies alles trug auf jeweils eigene Art zur Verherrlichung der spanischen Kolonisation der Amerikas bei. Dass diese Kolonisation aber mit einer Entdeckungsreise unter Leitung eines Genuesen begonnen hatte und deshalb das erste Denkmal zu seinen Ehren in seiner italienischen Geburtsstadt errichtet wurde, fand eine spanische Antwort unter anderem in dem Vorhaben, Kolumbus‘ Gebeine in Madrid im Sockel einer monumentalen Statue neu beizusetzen. Die Nachricht vom Fund der vermeintlich echten sterblichen Überreste Kolumbus‘ in der Dominikanischen Republik im Jahre 1877 war deshalb eine besondere Herausforderung an die Deutungshoheit über den Entdecker. Madrid trat dieser Provokation mit einigem propagandistischen Aufwand innerhalb und außerhalb des Reiches entgegen. Mochten einer spanisch-nationalistischen Inanspruchnahme Kolumbus‘ aufgrund seiner „italienischen“ Herkunft auch Grenzen gesetzt sein, setzten sich spanische Autoren doch auch vehement gegen die so genannte „Leyenda Colombina“ zur Wehr. Ihr zufolge hatten die Spanier den großartigen und visionären Kolumbus ungerecht behandelt und sich damit als ausgesprochen undankbar erwiesen. Dieser Topos hatte seinen äußeren Anlass in der Verhaftung Kolumbus‘ und der Aberkennung seiner Titel durch die Krone, seine große Verbreitung lag aber in der antispanischen Propaganda des 16. Jahrhundert begründet. Ein solcher, seinerzeit von den Spaniern verschmähter Kolumbus konnte jedenfalls leicht als Beispiel für die metropolitane Ignoranz und damit z. B. als prokubanisches Argument instrumentalisiert werden, ohne deswegen die kolonialen Großtaten des Seefahrers leugnen zu müssen.

Koloniale Selbstvergewisserungen waren in Kuba und Puerto Rico aber oftmals auch mit der Anrufung vorkolumbischer Kulturen verbunden, wobei diese Traditionsbildung zugleich den großen Anteil der afrikanischstämmigen Bewohner aus überseeischen Selbstentwürfen ausschloss. Dabei wurden zwar in physischer wie kultureller Hinsicht zahlreiche indigene Einflüsse auf die karibischen Provinzen Spaniens ausgemacht, die Bedeutung der prähispanischen Kulturen war aber trotz beträchtlicher wissenschaftlicher Anstrengungen keineswegs eindeutig zu bestimmen, weder auf der iberischen Halbinsel noch in Übersee. Ähnliches gilt auch für den Umgang mit Bartolomé de Las Casas. Dessen Invektive gegen spanisches Vernichtungswerk im Zuge der Landnahme bildete nicht nur in Europa den Ausgangspunkt einer antispanischen Haltung, die weit über ihren Entstehungszusammenhang Bestand haben sollte. Im 19. Jahrhundert konnte dann Las Casas vieles sein: unzuverlässiger Berichterstatter, Fälscher gar, aber auch Repräsentant jener Skrupel, welche die spanische Landnahme immer schon begleiteten und gerade dadurch die Anwesenheit Spaniens in den Amerikas vor der Geschichte rechtfertigte. Dagegen war der „kubanische“ Las Casas nicht nur ein Anwalt der indigenen Bevölkerung, sondern, damit einhergehend, auch afrikanischer Sklavenarbeit, auf der gerade im 19. Jahrhundert die große Wirtschaftsleistung Kubas als Weltzuckerproduzent beruhte. Das letzte der fünf Kapitel des Buches macht dann die globale Dimension hispanischer Geschichtsbilder deutlich, die gerade im philippinischen Fall besonders hart, zwischen philippinischer Archaik einerseits und der zum Verfall philippinischer Kultur führenden Rückständigkeit der spanischen Kolonisatoren andererseits, verhandelt wurden.

Für seine Darlegung hat Schmidt-Nowara neben einem Korpus gedruckter wie ungedruckter Texte, darunter bisher ungenutzte Korrespondenz, auch reichhaltiges ikonografisches Material aus Archiven in Spanien, Kuba und den USA zusammen getragen. Auf dieser Grundlage zeigt der Autor, dass die Auseinandersetzung mit dem Kolonialreich während des gesamten 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle für das nationale Selbstverständnis Spaniens spielte, auch wenn diese Auseinandersetzung vor allem seit den 1860er-Jahren einsetzte, als koloniale Ansprüche in Amerika und im Pazifik zunehmend brüchig wurden. Der Argumentationsgang hätte durch Straffung noch gewonnen, ebenso durch eine genauere Bestimmung der Analysegrößen und Begriffe ‚Nation‘ und ‚Reich‘, um das Wechselverhältnis zwischen beiden noch stärker zu erhellen. Denn galt für die überseeischen Provinzen nicht vielmehr dasselbe, was der Autor auch für die spanischen Regionen der Iberischen Halbinsel am Beispiel Kataloniens festgestellt hat (S. 63), nämlich dass die historiografisch und symbolisch vollzogene Aneignung der España ultramarina weniger Ausdruck eines eigenständigen Nationalismus, sondern patriotisches Moment innerhalb eines hispanisch-imperialen Rahmens war, der auch die Aufwertung durch die Metropole einforderte? Inwiefern erlauben es die Geschichtsbilder, die im 19. Jahrhundert entworfen wurden und die Diskussionen, zu denen sie nahezu unvermeidlich Anlass gaben, unterschiedliche Positionen über die Zweiteilung in Kolonie und Metropole zu bestimmen? Inwiefern kann von einer Einheitlichkeit suggerierenden „kolonialen Perspektive“ (S. 137) überhaupt gesprochen werden? Das Buch mag nicht alle diese Fragen schon selbst beantworten, hält aber für ihre Bearbeitung reichlich weiterführende Hinweise bereit. Wer ihnen nachgehen will, wird dies deshalb nur ausgehend von den Grundlagen tun können, die Schmidt-Nowaras in dieser detail- und kenntnisreichen Studie gelegt hat.

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26.11.2009
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